Arbeitsrecht? Für Regierung offenbar nicht wichtig

Viele Punkte unklar – Antworten auf Herausforderungen der Zukunft fehlen komplett

Ganze 326 Seiten ist das Regierungsprogramm von Türkis-Grün lang. Da könnte man meinen, dass einem wichtigen Bereich wie dem Arbeitsrecht, das immerhin einen Großteil der Bevölkerung betrifft – Österreich hat 3,6 Millionen ArbeitnehmerInnen –, auch im Regierungsprogramm wesentliche Bedeutung  beigemessen wird. Leider nicht. Auf 1,5 Seiten werden alle Ideen zur „Modernisierung des Arbeitsrechtes“ – wie der Titel verspricht – abgehandelt. Der ÖGB ist der Meinung, die ArbeitnehmerInnen Österreichs haben sich in puncto „Modernisierung“ mehr verdient.

Positiv: Mindestentlohnung für alle

Positiv bewertet der ÖGB, dass sich die Bundesregierung auf die Seite der Gewerkschaften stellt und Niedriglöhne bekämpfen will. Zwar profitieren 98 Prozent der ArbeitnehmerInnen bereits über einen Kollektivvertrag und demnach von einem Mindestlohn/-gehalt, dennoch gibt es in der österreichischen Wirtschaft Bereiche wie zum Beispiel die Freizeitwirtschaft, Autovermieter, Vereine und Fonds, die noch keinem Kollektivvertrag unterliegen. Das Bundeseinigungsamt ist ein sozialpartnerschaftlich besetztes Gremium, dessen Aufgabe es ist, die Kollektivvertragslandschaft durch Satzung und Mindestlohntarif zu ergänzen. Diese Instrumente auszuweiten, ist eine sinnvolle Maßnahme und wird auch vom ÖGB gefordert.

Positiv: Liste der Berufskrankheiten 

Unter der Annahme, dass mit „Modernisierung“ gemeint ist, dass die Liste der Berufskrankheiten um jene Krankheiten ergänzt wird, die die heutige Arbeitswelt hervorbringt, sieht der ÖGB darin eine gute und unterstützenswerte Maßnahme. Als Berufskrankheit gilt, wenn wissenschaftlich erwiesen ist, dass sie ausschließlich oder überwiegend durch die Arbeit entstanden ist. Beispielweise wenn sich KrankenhausmitarbeiterInnen Infektionen zuziehen. Einige Krebsarten, wie z.B. Weißer Hautkrebs, der durch erhöhte UV-Belastung bei Arbeiten im Freien entsteht (Bauarbeiter, Handwerker, etc.), müssten nach Meinung des ÖGBs in die Berufskrankheitenliste aufgenommen werden. 

Problematisch: Wer soll zukünftig Entgelt bei Krankheit oder Schwangerschaft zahlen?

Schwangeren Arbeitnehmerinnen sind aus Gründen des Mutterschutzes gewisse Tätigkeiten wie das Arbeiten mit gefährlichen Stoffen verboten. Derzeit ist der Arbeitgeber dafür verantwortlich, einer schwangeren Arbeitnehmerin einen adäquaten Ersatzarbeitsplatz anzubieten. Kann er dies nicht, so ist sie unter Fortzahlung des Entgelts durch den Arbeitgeber freizustellen. Dadurch ergibt sich für den Arbeitgeber ein Anreiz, sich auch tatsächlich um einen entsprechenden Ersatzarbeitsplatz zu kümmern. Würden die Kosten der Entgeltfortzahlung nicht mehr vom Arbeitgeber, sondern durch die Sozialversicherung oder das Bundesbudget übernommen, würde dieser Anreiz wegfallen.

Der zweite Punkt dazu im Regierungsprogramm betrifft die wiederholte Entgeltfortzahlung – derzeit durch den Arbeitgeber – im langen Krankheitsfall. Diese Kosten sollen offensichtlich für die Arbeitgeber gestrichen werden, während die Leistungen für die Beschäftigten aufrecht bleiben sollen. Das kann aber nur gehen, wenn die Kosten von dritter Seite übernommen werden – wer das sein soll und wie das finanziert wird, bleibt jedoch unklar.

Problematisch: Zeitwertkonto

Die Idee, Mehrarbeit nicht bezahlt, sondern auf ein Konto gebucht zu bekommen, das dann für eine längere Auszeit genutzt werden kann, ist ein Dauerbrenner der ÖVP. Es mag verlockend erscheinen, in jungen Jahren mehr zu arbeiten und später davon zu zehren, aber die Probleme, die sich daraus ergeben, sind offensichtlich:

  • Erstens werden damit Mehrleistungen nicht zeitnah entgolten.
  • Das Risiko der Abgeltung (z.B. im Fall der Insolvenz) trägt der/die ArbeitnehmerIn.
  • Was passiert bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit den offenen Ansprüchen?
  • Wer entscheidet, wann und in welchem Ausmaß diese Auszeit genutzt werden kann?

Außerdem läuft ein solches Konto dem Gedanken zuwider, dass Arbeitszeit so gestaltet sein soll, dass sie die Gesundheit auch in jungen Jahren nicht gefährdet. Denn das ist die beste Maßnahme, um ArbeitnehmerInnen gesund zu erhalten.

Fazit: Es wird geprüft und evaluiert. Wirkliche Einigungen gibt es offensichtlich nicht. Und die echten Herausforderungen der Arbeitswelt bleiben unbeantwortet.

Das Unterkapitel zum Arbeitsrecht im türkis-grünen Regierungsprogramm umfasst nur sehr wenige Punkte, die wiederum kaum Konkretes enthalten. Antworten auf die Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt, wie zunehmende Prekarisierung, Digitalisierung, Crowdwork, Plattformarbeit oder örtliche Entgrenzung der Arbeit (Home Office, Mobile Working) fehlen komplett. In Sachen Arbeitszeit will die türkis-grüne Regierung offenbar keinerlei Maßnahmen setzen und keine von ÖVP und FPÖ beschlossenen Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen rückgängig machen – der 12-Stunden-Tag bleibt. Einzig ein „breiter gesellschaftlicher Dialog […] über die Zukunft der Arbeit“ wird angekündigt. Schade!

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