Was von Türkis-Blau bleibt
Mit den jüngsten VfGH-Entscheidungen wurden die Leuchtturmprojekte der türkis-blauen Regierung gekippt
Das Höchstgericht hob in den vergangenen Tagen mehrere zentrale Prestigeprojekte der vergangenen Regierung wegen Verfassungswidrigkeit auf. Andere von ÖVP und FPÖ beschlossene Gesetze werden noch geprüft. Damit stellt sich die Frage: Was bleibt eigentlich von Türkis-Blau? Ein Überblick.
Was aufgehoben wurde
Sicherheitspaket: Die türkis-blauen Überwachungspläne sind in wesentlichen Teilen als verfassungswidrig beurteilt worden. Vergangene Woche kippten die HöchstrichterInnen beispielsweise den sogenannten Bundestrojaner – eine Spionagesoftware – und die flächendeckende Fahrzeugüberwachung über Verkehrskameras. Beide Maßnahmen sind "unverhältnismäßig" und stellen einen schweren Eingriff in die Grundrechte dar.
Sozialhilfe: Auch die Reform der Mindestsicherung hielt der Prüfung vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) nicht stand. Der Entscheid bedeutete einen herben Schlag für die türkis-blauen PolitikmacherInnen und Spin-DoktorInnen im Hintergrund, die über Monate weg dafür getrommelt haben. Deutschkenntnisse gekoppelt an die Mindestsicherung und gestaffelte Kinderbeiträge – nach dem VfGH-Entscheid ist dies Geschichte.
Kickls Niedergang: Herbert Kickl galt in den letzten Jahren unter politischen KommentatorInnen, aber auch unter PolitikerkollegInnen, als Kopf und wichtigster Stratege des freiheitlichen Aufstiegs. Die Übersetzung seiner FPÖ-Agenda in die Gesetzgebung und die Kommunikation dieser verlief jedoch holprig und war weit weg von einer Mastermind-Strategie. Mehrere Projekte des ehemaligen Innenministers und nunmehrigen FP-Klubchefs wurden von seinen Nachfolgern Eckart Ratz und Wolfgang Peschorn auf Eis gelegt. Beispielsweise wurde die Umbenennung der Erstaufnahmezentren für Asylwerber in „Aufnahmezentren“ rückgängig gemacht. Auch Kickls Polizeipferde kamen letztlich nicht, genauso wenig wie die 1,50-Euro-Jobs für AsylwerberInnen.
Rauchen in Lokalen: Nach dem Platzen der türkis-blauen Regierung wurde das Gesetz zum Rauchverbot in Lokalen gemeinsam mit den Stimmen aller anderer Parteien per 1. November in Kraft gesetzt.
Familienbonus: Die groß angekündigte Steuerreform von ÖVP und FPÖ wurde nicht mehr vollendet. Ziel war es, laut vergangener Regierung, bis 2022 Entlastungen von 6,5 Milliarden Euro zu ermöglichen. Ausgegangen ist sich der zu Jahresbeginn eingeführte Familienbonus und Steuererleichterungen, aber vorwiegend nur für Unternehmer.
Was umgesetzt wurde
12-Stunden-Tag/60-Stunden-Woche: Trotz heftiger Kritik wurde die Möglichkeit zur Einführung eines Zwölf-Stunden-Tags und der 60-Stunden-Woche ohne Einbindung des Betriebsrats umgesetzt. Dadurch drohen schleichende Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen und mehr Handlungsspielraum für die Wirtschaft.
Kassenumbau: Gemischte Gefühle löste der VfGH-Entscheid über den Kassenumbau aus. Manche Punkte, wie die so genannte Parität, also jener Handlungsspielraum, der VertreterInnen der Arbeitgeberseite ebenso viel Stimmrecht erteilt wie ArbeitnehmerInnen, wurde durch die HöchstrichterInnen im Wesentlichen als legitim eingeschätzt.
Durch massiven Druck von Seiten der Gewerkschaften, einem großen Medienecho und langen Verhandlungen zwischen Wirtschaft und ArbeitnehmervertreterInnen konnten aber auch wichtige Punkte auf der Wunschliste der Wirtschaft verhindert werden. Dazu zählten: die Leistungsharmonisierung, die Überprüfung der Krankenstände und die Verlagerung der Beitragsprüfung von der Sozialversicherung hin zur Finanz.
Benotung an Schulen: In Sachen Bildungspolitik kam es zu einigen einschneidenden Veränderungen zu Nachteil der SchülerInnen. So wurde das Sitzenbleiben an Volksschulen wieder eingeführt. Und auch die Deutschförderklassen, in denen SchülerInnen ohne ausreichende Sprachkenntnisse bis zu zwei Jahre getrennt von anderen SchülerInnen unterrichtet werden sollen, sind von der vergangenen Bundesregierung beschlossene Sache.
Was noch entschieden wird
Kopftuchverbot: Das an Volksschulen eingeführte Verbot von Kopfverhüllungen wird ein weiterer Fall für den VfGH.
Karfreitags-Regelung: Noch einmal befasst werden die HöchstrichterInnen mit dem Karfreitags-Thema. Der Hintergrund: Im Nationalrat wurde ein neuer Gesetzesentwurf zum Karfreitag in die Wege geleitet. Gesprochen wurde dabei von einem “persönlichen Feiertag“, das Gesetz sieht aber für den Karfreitag keinen zusätzlichen Feiertag vor – für niemanden. Stattdessen erlaubt es, einen der ohnehin zustehenden Urlaubstage an einem selbst gewählten Tag zu verbrauchen.
Familienbeihilfe: Die seit Jahresbeginn geltende Indexierung für im Ausland lebende Kinder dürfte die EU-Kommission demnächst vor den Europäischen Gerichtshof bringen.